Sasha Waltz
Sasha Waltz ist Choreographin, Tänzerin und Regisseurin. Nach ersten Studienjahren an der School for New Dance Development in Amsterdam schloss die gebürtige Karlsruherin sich der postmodern geprägten, im interdisziplinären Austausch arbeitenden New Yorker Tanzszene an. In den Jahren 1986 und 1987 tanzte sie in den Compagnien von Pooh Kaye, Yoshiko Chuma & School of Hard Knocks und Lisa Kraus & Dancers. Auf ihre Rückkehr nach Europa 1988 folgte eine intensive Zusammenarbeit mit Choreograph:innen, Bildenden Künstler:innen und Musiker:innen. Nach Berlin kam sie 1992 durch ein Stipendium des Künstlerhauses Bethanien, wo sie aus dem Geiste des interdisziplinären, internationalen Arbeitens heraus das Improvisationsformat »Dialoge« entwickelte. Sie erwählte die junge Hauptstadt zum Zentrum ihres Wirkens und praktizierte dort neue choreographische Arbeitsweisen in selbst aufgebauten Infrastrukturen. Zusammen mit Jochen Sandig gründete sie 1993 die Compagnie Sasha Waltz & Guests und 1996 die Sophiensæle als eine Spielstätte für den Tanz und mehr, die heute über Berlin hinaus ein Mittelpunkt der freien Szene ist. Von 2000–2004 war sie Mitglied der Leitung der Schaubühne
am Lehniner Platz. Für die Spielzeit 2019/20 übernahm Sasha Waltz gemeinsam mit Johannes Öhman die Intendanz des Staatsballetts Berlin.
Während des ersten Jahrzehnts in Berlin schuf sie international maßgebliche Tanzstücke wie u.a. die Trilogien »Travelogue«, »Körper« und die immersive Tanzinstallation »insideout«. In den darauffolgenden Jahren befasste sie sich mit der Mobilisierung des zeitgenössischen Tanzes für belebende und forschende Zugänge zu historischen und neuen Opern und Balletten. Mit »Dido & Aeneas« (2005), »Medea« (2007) und »Matsukaze« (2011) behandelte sie drei Werke über Frauen und prägte dabei das Genre der choreographischen Oper. 2007 inszenierte sie außerdem für die Opéra national de Paris »Roméo et Juliette« zur dramatischen Sinfonie von Hector Berlioz. Es folgten 2013 »Sacre« zur Musik Igor Strawinskys im Auftrag des Mariinsky Theaters St. Petersburg und 2014 »Tannhäuser« in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim. Parallel engagierte Sasha Waltz sich für den Transfer tänzerischen Wissens und den Tanz
als Medium der sozialen und gesellschaftspolitischen Verständigung. Im Zuge dessen initiierte sie 2007 in Berlin die »Kindertanzcompany« und
choreographierte 2012 auf Einladung der Berliner Philharmoniker mit über 100 Schüler:innen Rodion Schtschedrins Carmen-Suite. 2016 entwickelte sie das neue Format »ZUHÖREN« und eröffnete damit einen »dritten Raum für Kunst und Politik«. Das »Dialoge«-Konzept erweiterte sie um tänzerische Verhandlungen von Architektur, in denen das Publikum als gleichwertiger Teil des choreographischen Geschehens agiert. Zu diesen gehören »Dialoge ’99/II – Jüdisches Museum« im damals noch leeren Neubau des Jüdischen Museums von Daniel Libeskind, »Dialoge 09 – Neues Museum« in den noch leeren Räumen des unter der Leitung von David Chipperfield wiederaufgebauten Neuen Museums in Berlin (2009)
und die choreographische Installation »Figure Humaine« zur Einweihung der Elbphilharmonie (2017). In ihrer gegenwärtigen choreographischen Arbeit konzentriert Sasha Waltz sich auf die Verdichtung kollaborativer Prozesse wie die synchrone Entwicklung von Choreographie und Musik. In Zusammenarbeit mit Soundwalk Collective und der Designerin Iris van Herpen (u.a.) entstand 2017 die Choreographie »Kreatur«, im Sommer 2018 folgte ihre Arbeit »EΞΟΔΟΣ | EXODOS« (beide im Berliner Radialsystem), im Frühjahr 2019 feierte die Produktion »rauschen« an
der Volksbühne Berlin Premiere. Im März 2022 kam »SYM-PHONIE MMXX«, ein Werk für Tanz, Licht und Orchester von Sasha Waltz und Georg Friedrich Haas, an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin zur Uraufführung, gefolgt von »Beethoven 7« im März 2023 im Radialsystem, Berlin.
Den besonderen Herausforderungen der Corona-Pandemie begegnete Sasha Waltz 2020/21 mit unterschiedlichen Projekten sowohl im digitalen Raum wie auch live vor Publikum: Es entstanden ein digitales »Tanztagebuch« auf YouTube, der Open-Air-Abend »Dialoge 2020 –
Relevante Systeme«, in dessen Rahmen eine Choreographie zu Maurice Ravels »Boléro« sowie Soli zu Georg Friedrich Haas’ »I can’t breathe« zur Uraufführung kamen, sowie eine Reihe von Improvisationen im Livestream aus dem Radialsystem unter dem Titel »Dialoge 2020 – Relevante Systeme II«. Im Jahr 2021 entwickelte Sasha Waltz die Arbeit »In C«, basierend auf Terry Rileys gleichnamiger revolutionärer und offener Komposition, die seither nicht nur erfolgreich national und international aufgeführt wird, sondern sich auch zu einem eigenen System mit wachsender Community entwickelt hat. Das Werk besteht aus 53
choreographischen Figuren, die in Video-Tutorials festgehalten wurden, welche einen einfachen Wissenstransfer ermöglichen. Es entstanden und entstehen aus dem Material heraus weltweit partizipative, diverse, internationale und nachhaltige »In C«-Projekte, Workshop-Formate und immer neue Strukturen. Im Sommer 2021 entstand eine Choreographie zu Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie, gespielt von musicAeterna unter dem Dirigat von Teodor Currentzis, die im Rahmen des Beethoven-Tages auf ARTE in den Ruinen des Apollotempels in Delphi zur Uraufführung kam.
Für ihre besonderen Leistungen erhielt die Choreographin 2011 das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. Seit Juni 2013 ist sie Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Im Jahr 2021 wurde Sasha Waltz vom französischen Kulturministerium zum »Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres« ernannt.