Statement Sasha Waltz

Statement Sasha Waltz

vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten zum Doppelhaushalt 2026/27, für den ebenfalls enorme Kürzungen im Kulturbereich drohen 

»Tanz ist eine der ältesten und unmittelbarsten Ausdrucksformen des Menschen. In seiner körperlichen Präsenz, seiner Bewegung, seiner Fähigkeit, die Dimensionen von Raum und Zeit spürbar zu machen, berührt der Tanz die tiefsten Ebenen des menschlichen Seins.

In einer Welt, die zunehmend von Krisen, Angst und Polarisierung geprägt ist, stellt der Tanz für mich nicht nur eine künstlerische Disziplin dar, sondern auch einen Ort der Reflexion und des Widerstandes. Tanz öffnet einen Raum, in dem wir uns und anderen körperlich begegnen können – ein Raum, in dem Vielfalt und Veränderung nicht nur möglich, sondern notwendig sind. Tanz ist unmittelbar, bedarf keiner Sprache.

In Zeiten des Populismus ist Kunst mehr denn je ein notwendiger Gegenpol. Sie ist eine Plattform, um unsere Gesellschaft zu hinterfragen, um Utopien zu entwerfen und für eine offene, plurale Gesellschaft einzutreten.


Die Kürzungen in Kunst und Kultur, wie sie aktuell deutschlandweit zu beobachten und in Berlin harte Realität sind, riskieren die Zerstörung von kreativen und sozialpolitischen Freiräumen, und sind damit auch Angriffe auf die Grundlage einer demokratischen Gesellschaft. Gerade der Tanz, der so grundlegend für das Verständnis unserer Gesellschaft und ihrer Vielstimmigkeit ist, leidet unter einer chronischen Unterfinanzierung und damit auch unter strukturellen Problemen. Was der Tanz in Berlin zukünftig braucht, sind vor allem Spieltermine. Leider gibt es kein eigenes Haus für den Tanz in dieser Stadt. Das Publikum und damit das Interesse ist aber eindeutig da.


Auch für meine Tanzcompagnie »Sasha Waltz & Guests«, die ich 1993 gemeinsam mit Jochen Sandig gegründet habe, bedeuten die aktuellen Zuwendungs-Kürzungen im Jahr 2025 einen enormen Einschnitt. Unsere künstlerische Arbeit wird dadurch deutlich eingeschränkt.


Die Unterstützung von Tanzschaffenden muss ein langfristiges Commitment der Gesellschaft werden. Wir brauchen eine Politik, die nicht nur die sichtbaren Institutionen fördert, sondern auch die unsichtbaren, die oft unter der Oberfläche arbeiten – die kleinen, unabhängigen Bühnen, die experimentellen Formate, die Initiativen, die Tanz, Kunst und Kultur in neue Richtungen weisen.


Berlin, eine Stadt, die von Migration, Differenz und Offenheit geprägt ist und die sich als Kulturhauptstadt Europas versteht, hat die Verantwortung, ein Labor der Zukunft zu sein – ein Ort, an dem neue Formen der Gesellschaft und der Kunst erprobt werden. Kunst ist das Fundament, auf dem wir eine neue Form des Zusammenlebens aufbauen können. Tanz ist dabei ein Schlüssel, weil er uns eine körperliche Erfahrung von Gemeinschaft, Veränderung und Empathie ermöglicht. Er ist auch eine Form der Kommunikation, in der alles zum Ausdruck gebracht werden kann, was häufig ungesagt bleibt.


Der Tanz ist kein Luxusgut, das sich nur eine privilegierte Minderheit leisten kann. Er gehört uns allen. Wenn wir also in die Zukunft des Tanzes blicken, müssen wir uns nicht nur um die strukturellen und finanziellen Bedingungen kümmern. Wir müssen auch die gesellschaftliche Bedeutung des Tanzes immer wieder neu definieren. Tanz ist ein Werkzeug der Veränderung, der Entgrenzung und der Verbindung. Und er ist eine Notwendigkeit – für den Körper, für den Geist und für die Gesellschaft.«
Sasha Waltz