»Körper« von Sasha Waltz ist nach sechs Jahren und zahlreichen internationalen Gastspielen endlich wieder in Berlin zu sehen! Am 23. 24. 26. und 27. November 2016 wird der Klassiker am Haus der Berliner Festspiele gezeigt. Karten sind ab sofort verfügbar!
»Körper«
Sasha Waltz
Hans Peter Kuhn
Haus der Berliner Festspiele
23. 24. 26. 27. November 2016
Karten: Haus der Berliner Festspiele Körper
Sasha Waltz visualisiert mit ihren dreizehn Tänzerinnen und Tänzern die Hülle und das Innere des menschlichen Körpers, seine Schönheit und Hässlichkeit, seine Sterblichkeit und den Traum vom perfekten Körper. Was ist der Körper? Wie setzt er sich zusammen? Der menschliche Organismus wird sowohl als einheitliches System abgebildet, als auch in seine Fragmente zerlegt. Die untersuchte Anatomie findet eine Übertragung in die Geometrie des Raumes.
Regie, Choreografie: Sasha Waltz
Musik: Hans Peter Kuhn
Bühne: Thomas Schenk, Heike Schuppelius, Sasha Waltz
Kostüme: Bernd Skodzig
Licht: Valentin Gallé, Martin Hauk
Tanz, Choreographie: Davide Camplani, Clémentine Deluy, Lisa Densem, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Luc Dunberry, Anthony Lomuljo, Nicola Mascia, Grayson Millwood, Virgis Puodziunas, Claudia de Serpa Soares, Takako Suzuki, Laurie Young, Sigal Zouk
Repetition: Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola
SIGALS STORY
Als erstes am Morgen öffne ich die Augen. Meistens liege ich auf dem Rücken. Ich strecke den einen Arm, den andern, ich strecke meine Beine und dann gehe ich duschen und putze mir die Zähne. Danach gehe ich in die Küche und mache mir Espresso. Ich öffne meinen Mund und spüre wie mir der Espresso die Kehle hinunter rinnt. Dann drehe ich mit meinen Fingern eine Zigarette, manchmal zittern meine Finger. Vielleicht deshalb, weil ich zuviel rauche. Nach dem ersten Zug der Zigarette renne ich mit meinen Beinen zur Toilette. Ich setze mich auf meinen Hintern und scheiße. Wenn ich zu schnell aufstehe, merke ich wie mein Blutdruck sinkt und meine Beine schwach werden. Dann muss ich mich hinsetzen und tief durch die Nase atmen. Drei mal ein und drei mal aus. Danach gehe ich in die Küche, um meine Nägel zu schneiden. Sie wachsen so schnell, dass ich sie jeden vierten Tag schneiden muss. Dann bin ich bereit, arbeiten zu gehen.
Ich lege mir einen Schal um den Hals und über meinen Oberkörper ziehe ich mir einen Mantel. Es gibt Tage, an denen es so kalt ist, dass mein Gesicht, meine Augen, meine Nase, meine Lippen und meine Zähne frieren und wenn es ein windiger Tag ist, habe ich Tränen in den Augen und Speichel tropft mir aus dem Mund.
CLAUDIAS STORY
Dies ist mein Körper: Rückseite, im Profil und Vorderseite.
Ich konnte ihn mir nicht aussuchen. Ich bin mehr oder weniger so geboren.
Jetzt bin ich 1,84 m groß, wiege 21,5 kg und in meinem ganzen Körper habe ich 12 Liter Wasser.
Ich habe einen Kopf, einen kleinen Mund und zwei große braune Augen.
Ich habe nicht die schönen grünen Augen meiner Mutter. Es sollte wohl nicht sein. Aber dafür bekam ich all diese Punkte auf der Haut und das viele Haar von Vaters Seite.
Normalerweise habe ich keine großen Schwierigkeiten mit meinem Körper. Nur manchmal habe ich diesen blöden Herpes auf den Lippen und das hasse ich wirklich. Und einmal im Monat habe ich diese schrecklichen Schmerzen im Bauch. Meine Brüste werden größer, mein Bauch wird größer und ich habe das Gefühl, mich in einem anderen Körper zu befinden.
Es gibt zwei Sachen, mit denen ich aufhören sollte. Erstens: Nägel beißen. Meine Hände sehen schrecklich aus, aber manchmal kann ich einfach nicht widerstehen.
Zweitens: aufhören zu rauchen. Ich habe mich nie röntgen lassen, aber ich bin mir sicher, dass meine Lungen ziemlich schwarz aussehen.
LUCS STORY
Als ich vor kurzem zu schnell aufstand, fühlte ich ein Prickeln in den Füßen und mir wurde schwindelig im Kopf. Ich fragte mich, was mit mir nicht stimmte und ging zu meinem Nachbarn. Ich klopfte an seine Tür und fragte: »Glaubst du, dass etwas mit mir nicht stimmt?« Und er sagte: »Nein«. Aber ich kann ihm nicht vertrauen, denn er ist kein Arzt: Er ist ein Computerfreak. Es sind nicht nur meine Füße; mein Magen fühlt sich auch komisch an und meine Kehle schmerzt, ich huste und habe Schwierigkeiten beim Schlucken. Darum überprüfte ich meine Drüsen, aber sie schienen in Ordnung zu sein. Ich wurde nervöser und hatte das Gefühl meine Lungen seien beengt und ich konnte nicht mehr richtig atmen. Ich dachte, meine Schilddrüse würde unregelmäßig funktionieren oder meine Bauchspeicheldrüse müsse stimuliert werden, aber wie kann ich es wissen? Mein Magen beeinflusst außerdem mein ganzes Verdauungssystem, ich bekomme verstopfte Därme, meine Leber ist nicht mehr an ihrem Platz und mein Gehirn ist zu schwach und ich bin mir sicher, dass ich einen Hirnschlag bekommen werde oder sogar einen Herzinfarkt. So beschloss ich letztendlich zum Arzt zu gehen. Ich schwitzte wie verrückt. Mir war kotzübel und ich fragte: »Glauben sie, ich habe Krebs?«
GRAYSONS STORY
Ich lag auf dem Bauch auf der Picknickdecke, auf die Ellbogen gestützt mit dem Kopf in den Händen. Ich fühlte, wie die Sonne mir auf die Schulter brannte und ich wusste, dass ich von der Gürtellinie abwärts einen Sonnenbrand kriegen würde. Ich setzte mich auf meinen Hintern und nahm mir ein Bier, hielt es zwischen meinen zwei Fingern und dem Daumen. Mein Mund fühlte sich trocken an und ich genoss wie das Bier meine Kehle entlang bis in den Magen hinunterlief.
Als sie ankam, schwitzte ich an der Stirn und an den üblichen Stellen: in meinen Achselhöhlen, in der Leistengegend und an der Innenseite der Hände.
Sie küsste mich an einer lustigen Stelle, weder auf die Wange, noch auf die Lippen oder Augen, sondern auf diese kleine Kuhle zwischen der Nase und der Oberlippe.
Sie nahm ihre Tasche von der Schulter, krempelte sich die Hose bis an die Knie hoch und legte sich mit dem Hinterkopf auf meinen Bauch. Sie sagte, sie könne meine Organe arbeiten und mein Herz klopfen hören.
Ich öffnete meinen Gürtel und zeigte ihr das Muttermal auf meinem Oberschenkel.
Ich wollte ihr alles zeigen, alles an mir, was mich von allen andern unterscheidet:
Die Länge meiner Gliedmaßen, die Farbe meiner Augen, den Haaransatz und das Haar auf dem Hintern, auf den langen Fingern und Zehen und auf Oberarm und Nacken. Die Sommersprossen auf Schienbein und Schultern. Das Knacken in Knien, Rücken und Kiefer. Und die Narbe hinter meinem Ohr.
Sie wollte wegrennen, aber ihr Fußknöchel verfing sich im Picknicktuch, sie fiel mit dem Rücken auf mein Gesicht und meine Nase begann zu bluten. Ich rutschte auf der leeren Bierflasche aus, die Riemen ihrer Tasche zogen an der Innenseite ihrer Ellbogen und sie fiel auf mich. Wir lagen regungslos da. Ich fühlte wie meine Knie ihre Oberschenkel und ihre Brust meinen Oberkörper berührten und ich sah mein Blut an ihrem Schlüsselbein hinunterlaufen.