»Dido & Aeneas« am Teatro Colon in Buenos Aires

Anlässlich des Gastspiels »Dido & Aeneas« vom 7. – 12. Juni 2016 am Teatro Colon in Buenos Aires haben wir noch einmal das erste Programmheft von der Uraufführung 2005 in die Hand genommen und sind auf dieses Interview von Carolin Emcke mit Sasha Waltz und Attilio Cremonesi gestoßen.

Dido & Aeneas (Manuel Alfonso Pérez Torres, Clémentine Deluy) © Sebastian Bolesch

Dido & Aeneas
Henry Purcell
Sasha Waltz
Teatro Colon
Buenos Aires
7. 8. 10. 11. 12. Juni 2016
http://www.teatrocolon.org.ar/es/2016/opera/dido-y-eneas

Interview aus dem Programmheft der Staatsoper unter den Linden anlässlich der Uraufführung von »Dido & Aeneas« am 19. Februar 2005

LIEBE IN ZEITEN DES KRIEGES
Gespräch mit SASHA WALTZ und ATTILIO CREMONESI über „Dido & Aeneas“ von CAROLIN EMCKE

EMCKE „Dido & Aeneas“ ist ausdrücklich als Choreographie und nicht als Opern-Inszenierung konzipiert – was bedeutet das für das Verhältnis von Musik zu Tanz?

WALTZ Das bedeutet zunächst, dass nicht nur die Musik den Inhalt der Oper transportiert. Ich will nicht nur über die Sänger die Geschichte erzählen, sondern auch über die Bilder und Gesten, über die ganz eigene Sprache des Tanzes, die die Musik ergänzt. Es ist der Versuch, die verschiedenen Darstellungsebenen zu verschmelzen, ohne dass eine die andere dominiert. Aber natürlich war das erstmal völliges Neuland für mich.

CREMONESI Es ist für mich glücklicherweise nicht das erste Mal, dass ich mit Tänzern zusammenarbeite. Das erste Mal ist ein Schock (lacht), weil man als Dirigent gar nicht versteht, welche eigenen Möglichkeiten und Grenzen durch die Körperlichkeit und Dynamik des Tanzes entstehen. Mittlerweile bin ich mit einer Tänzerin verheiratet, und spätestens jetzt liebe ich diese ganz besondere Energie, die sich in der choreographischen Arbeit ergibt. Es bewegt mich sehr, es schmerzt, man trauert mit, wenn man diese Szenen vertanzt sehen kann. Es ist einfach ein Wunsch von mir mit solchen Persönlichkeiten, den Tänzern, den Choreographen zu wachsen. Es ist eine große Bereicherung.

EMCKE „Dido & Aeneas“ als Oper in der Masque-Tradition mit seinen zahlreichen Tanz-Szenen, vor allem für die Furien und Hexen, erscheint wie geschaffen für eine Choreographin: Das Libretto von 1689 beinhaltete 11 Tänze – war es das, was Sie angezogen hat an dieser Produktion?

WALTZ Nein. Die Tanzeinlagen der Original-Oper waren lediglich als Lückenfüller gedacht. Dieses „Entertainment-Programm Tanz ” – das ist das Gegenteil dessen, was ich will vom Tanz. Mich interessiert vor allem die Geschichte von Dido und Aeneas, der Mythos von Liebe, die in Hass umschlägt, die Erzählung von Flüchtigen und Vertriebenen, von Liebe in Zeiten des Krieges. Dazu orientiere ich mich auch an Vergil, um etwas mehr Substanz für die Entwicklung der Figuren und Charaktere zu finden. Das Libretto selbst gibt einem ja nicht genug an die Hand. Nach dem ersten Lesen und Hören, da war ich ganz überrascht, wie rasend schnell diese tragische Geschichte erzählt ist. Kaum haben sie sich gefunden, schon sind sie wieder verloren an die Vorbestimmung, den gesellschaftlichen Auftrag. Insofern gibt es in der Choreographie einzelne Szenen und Motive, die im Libretto so nicht auftauchen: das Gastmahl, diese Szene, die sich nach und nach verändert und auflöst, speist sich aus anderen Quellen.

Dido & Aeneas © Sebastian Bolesch

© Sebastian Bolesch

EMCKE Die musikalische Besonderheit von Purcells Werk liegt in der Kombination eher traditioneller satztechnischer Elemente und dann ganz moderner tektonischer, bei denen sich Purcell befreit von der herkömmlichen Tradition. Ist dieses Verhältnis von Norm und Freiheit nicht auch der Kern der Geschichte zwischen Dido und Aeneas?

CREMONESI Dieser Konflikt taucht motivisch immer wieder auf, und musikalisch muss man es auch in dieser Ambivalenz, in dieser Widersprüchlichkeit gestalten. Wenn ich es am konkreten Beispiel einer Arie beschreiben darf: bei der Arie „Ah Belinda“. Es war für mich wichtig, dass die Sängerin mit einer großen Unruhe singt – während es gleichzeitig unten diese stabile Struktur gibt. Es darf nicht einfach nur nach einem schönen Stück klingen. Sie ist aufgewühlt, sie weiß nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen soll. Es gibt dieses strikte Metrum, diese Norm, und dagegen wehrt sie sich. Und anders als Aeneas gelingt es ihr, sich zu befreien. Sie geht als Figur sozusagen aus der Zeit – und so muss es auch gesungen werden.

WALTZ Ja, das Verhältnis von Individuum zu Kollektiv, von Dissident zu Norm taucht auch in meinen früheren Arbeiten immer wieder auf. Das erklärt auch mein Interesse an der Figur des Aeneas, der sein individuelles Leben und Begehren nicht leben darf, aus gesellschaftlichen Gründen, und es (und damit auch Dido) opfert. Ich spiele gern mit den kleinen Brüchen und Widerständen gegen den Strom – in „noBody“, in „Impromptus“ gibt es solche Szenen und auch hier. Da gibt es Dido, die sich gegen den Fortgang der Geschichte (die Gründung von Rom durch Aeneas), die Pflicht, den Krieg wehrt.

EMCKE „Peace and I are strangers grown“, lautet eine Zeile von Dido im ersten Akt – das scheint als Psychogramm von Dido wie von Karthago oder Troja gleichermaßen zu gelten. Haben Sie Dido auch wegen ihrer inneren Zerrissenheit aufgeteilt auf zwei Tänzerinnen? Ebenso wie Aeneas im Übrigen.

WALTZ Die Zerrissenheit ist bei den Figuren vorhanden, sie treibt sie voran und auseinander zugleich: beide wollen die Liebe leben und dann aber auch den Auftrag erfüllen, vor allem Aeneas natürlich. Und ich wollte die Entwicklung der Figuren darstellen können mit verschiedenen Tänzern. Allerdings müssen diese Tänzer zusammenbleiben, weil sonst für die Zuschauer nicht erkennbar ist, dass es sich um dieselbe Figur handelt.

EMCKE Sie splitten den Chor auch auf, mischen die Sänger unter die Tänzer, dadurch verliert der Chor ein wenig die dramatische Position des außenstehenden Kommentators, das Volk ist weniger Zuschauer als selbst Handelnder – war das die dramaturgische Absicht?

WALTZ Ja, unbedingt. Der Hofstaat, die Gesellschaft verstärken und vergrößern, was die Solisten vorher äußern. Aber natürlich setze ich sie in Bewegung, weil ich die Tänzer nicht separat auf der Bühne agieren lassen möchte. Es ist wichtig für die Dynamik des Stückes, dass es so eine gemeinsame Gruppenkraft gibt und nicht einzelne Blöcke auf der Bühne statisch außen vor bleiben. Deswegen habe ich den Chor integriert in die Gruppe der Tänzer, so wachsen diese getrennten Einheiten organischer zusammen und erzeugen eine andere Dynamik.

© Sebastian Bolesch

 

EMCKE Sie erarbeiten optische oder dramaturgische Bilder – die Musik verlangt ja auch stimmige Klangbilder. Gibt es da nicht auch akustische Beschränkungen?

WALTZ Natürlich kann ich die Figur, die eine Arie singt, nicht ganz weit nach hinten auf die Bühne positionieren. Die akustischen Beschränkungen muss ich wahrnehmen. Es muss die chorische Idee erhalten bleiben, auch im Sinne der Musik, und trotzdem will ich den Chor nicht die ganze Zeit bewegungslos zusammenstehen lassen.

CREMONESI Wenn ich von einem kompakten Chor spreche, dann stelle ich mir nie vor, dass der Chor da vorne an der Rampe sitzen und auf mich schauen muss. Ich liebe es sehr, dass der Chor in Bewegung ist und eine eigene Seele hat. Natürlich ist es wichtig, dass ich Sasha die Information gebe: also dieser spezielle Chor wird technisch besonders kompliziert, wegen der Geschwindigkeit oder einer technischen Besonderheit. Und je weiter die vom Orchester entfernt sind, umso schwerer wird das. Natürlich muss man einen Kompromiss finden, dass der Chor so da steht, wie es Sashas Vorstellung vom räumlichen und meiner Vorstellung vom klanglichen Bild entspricht.

EMCKE Sie haben zudem die Partie oder die Rolle der „Second Woman“ im ersten Akt aufgewertet – sind Sie damit einem Wunsch der Choreographin gefolgt? Die „Second Woman“ nimmt im zweiten Akt das gewaltsame Ende der Liebesgeschichte vorweg, indem sie auf den Tod von Aktäon verweist – wollten Sie dieser Partie auch eine größere musikalische Rolle geben, weil sie einen Leitfaden der Geschichte schon früh anführt?

CREMONESI Auf Ihre erste Frage muss ich mit Nein antworten: Die Idee, der „Second Woman“ mehr zu singen zu geben, kam mir, nachdem ich den Text von den zwei Libretti von 1689 und 1700 mit der Partitur von 1750 konfrontiert hatte. Dort konnte ich feststellen, dass Sätze, die im originalen Libretto von einem Darsteller gesungen wurden, in den anderen Fassungen teilweise unterschiedlich geteilt waren. Wie hat in Wirklichkeit der Autograph von Purcell ausgesehen? Sasha war sofort von der Idee begeistert, und deshalb singt sie mehr als normalerweise. Wir haben Belinda, die ein bisschen mädchenhaft von der Liebe spricht, die „Second Woman“ gegenübergestellt. Sie übernimmt stärker das politische Moment, sie denkt auch stärker über die Bedeutung des Paars Dido und Aeneas für Karthago und Troja nach.

WALTZ Diese beiden Erzählstränge, die Liebesgeschichte einerseits und die Geschichte der beiden zerstörten, fragilen Gesellschaften, Troja und Karthago, laufen parallel. Aeneas’ Flucht, der Hintergrund des Leids und der Verlust von Troja, das liegt als Schatten über allem. Wir haben diesen unsichtbaren Kontext immer nur motivisch anzudeuten versucht, im Wasser beispielsweise, aber die Schwere, die Ausweglosigkeit, die Zerrissenheit, die versuchen wir sowohl innerhalb der Figuren, als auch zwischen den Stimmen und Rollen aufscheinen zu lassen.

EMCKE Wieviele Kompromisse muss ein Dirigent, der Barock-Musik-Spezialist ist und für seine Präzision bekannt, in der Zusammenarbeit mit einer Choreographin machen?

CREMONESI Das Bemühen um historische Authentizität bedeutet ja nicht notwendigerweise, dass man Verstaubtes liebt. Ich sammle Informationen über die historische Zeit, soviel ich kann und dann beginnt der Prozess des musikalischen Arbeitens doch erst. Aber es gibt auch eine lebendige Art mit der Musik zu arbeiten: ich höre sonst ja auch Jazz und Tango. Man muss auch manches brechen. Ich hasse es, ein Stück mit langweiligem Barock-Tanz zu machen. Das wäre dann etwas, was nichts mit meinem Leben und unserer Zeit zu tun hat. Deswegen arbeite ich gerne mit Choreographinnen, die in der jetzigen Welt und Zeit leben und arbeiten, und die ihre eigene Ausdrucksform haben.

EMCKE „Dido & Aeneas“ ist nach den Impromptus zu Schubert Ihre zweite Annäherung an klassische Musik. Beginnt da ein neuer Zyklus?

WALTZ Die Erfahrung mit „Dido & Aeneas“, mit einer Opern-Vorlage, empfinde ich als ungeheure Bereicherung. Ich hatte anfangs befürchtet, mich in der musikalischen Struktur eingeengt zu fühlen. Im Laufe des Prozesses habe ich entdeckt, wie viel Freiheite die Musik mir lässt und eröffnet. Beide Produktionen bestärken mich, diesen Weg weiter zu beschreiten.

© Sebastian Bolesch