»Matsukaze« in Tokio

Die choreographische Oper »Matsukaze« von Sasha Waltz zur Musik von Toshio Hosokawa geht wieder auf Gastspielreise  – zum The New National Theatre Tokyo!

»Matsukaze«
Oper von Toshio Hosokawa
Libretto von Hannah Dübgen
nach dem gleichnamigen Nô-Spiel von Zeami
Eine Choreographie von Sasha Waltz

New National Theatre
Tokio
16. 17. 18. Februar 2018
Tickets

„(…) wie die dicht gefügte Orchestersprache Hosokawas mit den fließenden Waltzschen Bewegungsformen zusammengeht; wie dieser aus der geräuschhaften Stille aufkeimende und in sie zurücksinkende Organismus aus Tönen sich in den Raum hinein verlängert; wie sich die Tableaus in Bewegung setzen und Sichtbares aus Unsichtbarem dergestalt entsteht, dass man oft gar nicht sagen kann, wo das eine aufhört und das andere anfängt: das ist doch wieder eine unerwartete Neuigkeit und ein großes Glück.“ FAZ, 05/2011

Matsukaze – trailer from Sasha Waltz & Guests on Vimeo.

»Matsukaze« stellt einen Höhepunkt der künstlerischen Arbeit von Sasha Waltz der vergangenen fünfzehn Jahre, der Weiterentwicklung der choreographischen Oper,  dar. Sänger und Tänzer verschmelzen hier zu einer Einheit.

Die Zusammenarbeit mit den japanischen Künstlern Toshio Hosokawa (Komposition) und Bühnenbildnerin Chiharu Shiota bildet außerdem die hohe Affinität von Sasha Waltz zur asiatischen (Kultur-)Geschichte ab. Wir freuen uns besonders, diese großformatige choreographische Oper, die zeitgenössische Bearbeitung des traditionellen japanischen Nô-Theaterstücks von Zeami, beim The New National Theatre Tokyo zeigen zu können. 

»Matsukaze« ist einer der beliebtesten Klassiker des japanischen Nô-Theaters. Die Schwestern Matsukaze und Murasame lieben denselben Mann, der aber von einer Reise nicht zurückkehrt. Ihre Sehnsucht bleibt unerfüllt. Noch Jahre nach dem Tod der Schwestern kehren beider Seelen ins Diesseits zurück, unermüdlich auf der Suche nach ihrem Geliebten.

Nô – Ein traumhaftes Spiel

Das japanische Nô-Theater ist ein komplexes Gesamtkunstwerk, das dramatische Dichtung, Gesang, Musik und Tanz vereinigt. Ca. 200 Theaterstücke gehören heute zum Repertoire dieser Bühnentradition, die von fünf Nô-Schulen bewahrt und fortgeführt wird. Der überwiegende Teil der Nô-Stücke stammt aus dem japanischen Mittelalter, bis heute werden sie nahezu unverändert aufgeführt und basieren nicht selten auf noch ältere japanische Legenden und Mythologien.

Die Themen und Handlungen der Texte werden in fünf Kategorien unterteilt: 1. Göttliche Dramen, 2. Männliche Dramen (kriegerische Handlung), 3. Weibliche Dramen (Liebesdramen), 4. Dramen vom Wahnsinn (zeitgenössische Themen) und 5. Ungeheuer-Dramen (Handlungen von Dämonen der japanischen Mythologie).

Tief verwurzelt in japanischen Religionen, Ritualen und kulturellen Traditionen sind auch die Ausstattung und Abläufe der Aufführungen. So ist die Form der Bühne praktisch immer gleich. Von einer Eingangstür erschließt eine schmale Brücke (hashigakari) mit Geländer die im rechten Winkel zu einer ca. 6×6 Meter großen Hauptbühne führt, welche durch vier Pfeiler begrenzt ist. Als Bühnenhintergrund fungiert eine gemalte alte Kiefer, die als Zeichen göttlicher Erscheinung gilt und als Ersatz der heiligen Kiefer am Kasuga-Schrein fungiert. Schon im Mittelalter wurden unter dieser Kiefer sakrale Spiele abgehalten. Die karge Spielfläche ist ein mehrfach markierter Raum, der allen Mitwirkenden (Tänzer, Musiker und Chor) einen festen Platz zuweist und Bewegungsabläufe vorgibt.

Im völligen Gegensatz zur Einfachheit der Bühne stehen die Kostüme, Kopfbedeckungen und Masken der Tänzer. Sie sind an Komplexität und Wert schwer zu übertreffen. Die äußerst prunkvollen Gewänder der Tänzer strahlen eine eigentümliche Schönheit aus und verleihen den Trägern eine majestätische Würde. Sogar das Thema des Dramas kann sich in Farbe, Muster und Schnitt des Kostüms widerspiegeln. Aus die traditionell von Hand gefertigten Masken können handlungsunterstützend wirken. Den ausschließlich männlichen Tänzern erlauben sie in die Rolle einer Frau, eines Alten oder Dämonen zu treten, sie sind so konzipiert, dass sich je nach Neigung der Maske unterschiedliche Gesichtsausdrücke zeigen. Die winzigen Öffnungen der Maske ermöglichen dem Tänzer jedoch nur eine sehr eingeschränkte Sicht, zusätzlich erschwert das hohe Gewicht des Kostüms das Bewegen im Raum erheblich.

Auch der Besucher einer Nô-Aufführung hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Text erscheint kryptisch und erschließt sich erst durch mehrfaches Lesen, die Sprache ist altertümlich und selbst für die meisten Japaner unverständlich. Die Strenge des Ablaufs und die betont langsamen, stilisierten und symbolhaften Bewegungen bedürfen einer Einführung und die chorische Musik erinnert an schamanische Gesänge und Rhythmen, als dass sie zum Verständnis der Handlung beitragen. Vielmehr fühlt sich der Besucher als Teilnehmer eines traumhaften Spiels oder rituellen Gebets und viel weniger als Zuschauer einer dramatischen Handlung. Gründe, weshalb das Nô aus europäischer Perspektive befremdlich, abstrakt und schwer zugänglich erscheinen mag. Vergleichen lässt sich das Nô-Theater mit keiner lebendigen europäischen Theaterform, als multimediales Gesamtkunstwerk lassen sich jedoch Parallelen zur Oper ziehen.

Die zeitlosen Themen der Handlung wie das Überwinden von Anhaftungen, z.B. an eine unglückliche Liebe, die Verbindung von Diesseits und Jenseits oder der Wille zur Reinigung der Seele machen das Nô zeitlos und erklären das ungetrübte Interesse an dieser überaus traditionellen Theaterform. Die Stärke des Nô-Theaters ist ein immer wiederkehrendes Bild von Stille und Kraft, Natur und Mensch. Das Nô führt in ein fernes Erleben.
(Christian Haase)